
Grafik: dpa/Kugler/Steffen Kugler/http://www.bundeswehr.de
Wie fragil und gefährdet eine Strategie zur Befriedung und Stabilisierung Afghanistans ist, haben die jüngsten Schreckensmeldungen von Greueltaten us-amerikanischer Soldaten und deren Auswirkungen in Afghanistan gezeigt. Noch ist nicht abzuschätzen, welche Folgen all dies in Gänze für unsere Truppen vor Ort und für die Gesamtsituation Afghanistans haben wird. Eine verstärkte Radikalisierung der Opposition ist hingegen zu erwarten. Das afghanische Parlament machte umgehend klar, es werde ähnliche Geschehnisse nicht länger tolerieren. Man kann sich vorherrschende Ansichten radikaler Untergrund- und Terrorgruppen gut vorstellen.
Zumindest für die heimische Presselage ergab sich aus den missverständlichen Aussagen von Kanzlerin Merkel, die sich selbst in Afghanistan befand, die Frage, ob der Abzugstermin der Kampftruppen bis 2014 zu halten sei. Vertreter der Koalition, wie auch Offizielle aus den USA oder Großbritannien stellten allerdings bald klar, der Abzugstermin sei international vereinbart, und man halte an ihm fest. Man warnte vor überhasteten Entscheidungen. François Hollande forderte im französischen Wahlkampf seinerseits den schnellstmöglichen Abzug französischer Truppen.
Unstrittig ist, dass die westliche Welt insgesamt auf der normativen Ebene an Legitimation und Glaubwürdigkeit auf Dauer verloren hat. Dabei sollten die Eroberung der Herzen der Afghanen, das Aufzeigen einer Perspektive ohne Herrschaft der Taliban, Freiheit, Wohlstand, Menschenrechte, Aufklärung und Demokratie gerade die Kernelemente für eine erfolgreiche und sichere Zukunft für die Bewohner Afghanistans bilden. Eine derartige Einsicht und Erkenntnis ist auf absehbare Zeit wohl nicht mehr zu erwarten. Stattdessen schüren die beinahe täglichen Meldungen von in Kampfhandlungen verletzten oder getöteten afghanischen Zivilisten, von us-amerikanischen Soldaten, die auf Leichen urinieren, von Offizieren, die eine Verbrennung von Koranbüchern veranlassen oder von Amokläufern, die 16 afghanische Zivilisten töten und die Leichen verbrennen eher Hass und Vergeltungswünsche und öffnen die Ohren und Herzen für Propaganda der Taliban oder von Islamisten.
Dabei muss man beachten, dass der Ehrbegriff in der dortigen Kultur, Mentalität und Tradition um ein vielfaches schärfer interpretiert wird, als in unserem Kulturkreis. Einzeltaten wie diese, Verbrechen oder unglückliche Zufälle, für die sich westliche Regierungsvertreter zwar zu entschuldigen versuchen, die aber für den Betroffen nicht entschuldbar sind, haben diese tiefverwurzelte Ehre verletzt. Ich befürchte, dass durch diese Meldungen ein Kollektivbewusstsein, das in diesem heterogenen Land ja stets bemängelt wird, geschaffen wird, allerdings mit negativen Vorzeichen. Besonders traurig ist dabei die Ohnmacht der westlichen Akteure und die Nivellierung von strategischen Langzeitplanungen durch Einzelverbrechen von einzelnen westlichen Soldaten. Von einem in seiner Ehre verletzten Afghanen kann man keine Differenzierung erwarten. Auch deutsche Soldaten, die vielleicht noch stärker ethisch geschult sind als andere, werden als westliche Soldaten in die allgemeine Kritik geraten.
Die Bundeswehr, wie auch das Parlament als Mandatsgeber befinden sich in einer klassischen Dilemmasituation. Man kann nicht vor der Verantwortung fliehen und Afghanistan sich selbst überlassen; nicht aus menschenrechtlichen Gesichtspunkten, und auch nicht aus regional- oder geostrategischen Überlegungen heraus. Zudem gelten international getroffene Vereinbarungen. Man setzt seine Soldaten auf der anderen Seite aber auch aktuell nicht abschätzbaren Gefahren aus. Die vorzeitige Räumung Taloqans ist ein Hinweis darauf, dass der Schutz der Truppe ab einem gewissen Punkt Vorrang hat. Wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, und wie man dann reagiert, ist schwer vorauszusagen. Westliche Truppen in Afghanistan, die sich einzig und allein in ihren Stützpunkten verschanzen, kein Partnering betreiben und keine Wiederaufbauhilfe leisten können, verfehlen das Ziel der Übergabe der Verwantwortung auf die afghanische Staatsgewalt ebenso wie ein voreiliger Abzug. Normative Überzeugungskraft der westlichen Freunde des afghanischen Volkes bleibt alternativlos; in diesem Falle ist das Unwort gerechtfertigt. Der Kampf um die Herzen in Afghanistan muss aus heutiger Sicht jedoch pessimistisch als langwieriger, schwieriger, fragiler und durch unkalkulierbare Vorfälle wie die jüngsten Verbrechen stets zu scheitern drohender Entwicklungsprozess gedeutet werden, dessen Erfolg letztlich ungewiss bleibt.